Zu diesem spannenden Thema referierte und reflektierte Pfarrer Tobias Brandner, der seit 20 Jahren in Hongkong als Dozent und Professor der dortigen staatlichen Universität lebt und als Gefängnisseelsorger.
Der Schweizer Theologe Pfarrer Tobias Brandner begleitete unlängst eine Gruppe der Evangelisch- reformierten Kirchgemeinde Rapperswil-Jona auf ihrer interessanten Gemeindereise durch China und wurde nun von eben dieser Kirchgemeinde eingeladen als Experte zum brisanten Thema «Chinas Christen am Scheideweg» ein Referat zu halten.
China zwischen rasantem Wachstum und Repression
Ein gesellschaftlicher und religiöser Umbruch findet laut Pfarrer Brandner zurzeit in China statt. China bewege sich zwischen rasantem Wachstum und Repression. Ganze Städte werden zu Megacities umgebaut und Menschen umgesiedelt. Eine Entwurzelung der Landbevölkerung von ungeheurem Ausmass ist die Folge. Dies sei der Nährboden für die Verbreitung des Christentums. Menschen suchen Halt im Glauben und der Glaubensgemeinschaft. Die Christliche Kirche werde immer stärker, was zu Spannungen mit der Kommunisten Partei und Regierung führt. In den vergangenen dreissig Jahren sei das Christentum in China um den Faktor 30 gewachsen: Von 1949 mit 1,8 Million Mitgliedern (siehe Wikipedia), während der repressiven Phase der Kulturrevolution bis 1982 auf 3 Mio., um dann mit einer explosiven Zunahme bis 2015 auf schätzungsweise 70 Mio. anzuwachsen. Es gibt sogenannte «registrierte Kirchen», die regimetreu sind und streng kontrolliert werden. Ihre Anhängerschaft macht jedoch den geringeren Anteil aus ca. 10-15 Mio. Neben dieser offiziellen Kirche gibt es laut Wikipedia und Pfarrer Brandner noch eine breite Grauzone von Gemeinden (z.B. die Hauskirchen), die teilweise toleriert, teilweise ignoriert, manchmal auch schikaniert werden. Es kommt sowohl auf die lokalen Behörden wie auch auf die jeweiligen Gemeinden an.
Aktuelle politische Brenn- und Konfliktpunkte in China
Die wachsende Rolle des Christentums in der Gesellschaft Chinas lief zufolge Pfarrer Brandner praktisch parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung. Es ergaben sich daraus verschiedenste Konfliktpunkte: Einerseits führte der zunehmende Einfluss der christlichen Kirchen in der Gesellschaft zu Spannungen mit der Regierung. Inzwischen übersteigt die Mitgliederzahl der Kirchen diejenige der Kommunistischen Partei. Dies löste repressive Massnahmen seitens der Partei aus, die die Regierung stellt. Die Räumung von Kirchen, Kirchenzerstörungen, das Entfernen von Kreuzen war die Folge – insbesondere in der reichsten Provinz Wenzhou. Dies wiederum löste in der Bevölkerung eine Schockwelle aus. Repressionen wie zur Zeit der Kulturrevolution werden befürchtet. Zweitens bedrohte der Hongkonger Konflikt die Stabilität des Staates mit den durch die Occupy Central-Bewegung in Gang gesetzten Demokratisierungsbestrebungen. Zwar ging es dabei nicht um einen religiösen Konflikt. Aber wichtige christliche Persönlichkeiten spielten eine entscheidende Rolle bei der Meinungsführung während des zweimonatigen Ausnahmezustandes in Hongkong. So geriet das Christentum nochmals in den Fokus der Regierung. Der Konflikt mit dem Staat wurde schliesslich niedergeschlagen. „Aber wie geht es weiter? Das Christentum hat natürlich eine Affinität zur Demokratie“, so Brandner.
Mögliche Szenarien
Brandner zeigte mögliche Entwicklungen und Szenarien auf und zog folgendes Fazit: Einerseits ist eine Harmonisierung und Sinisierung des Christentums möglich oder es kommt zu einem «Clash». Als weiteres Szenario zieht er die Spaltung der Kirche in regimtreue und oppositionelle Gruppen in Betracht und schliesslich als vierte Möglichkeit die graduelle Transformation der Politik. Da eine massive Repression das Land ersticke, geht seiner Meinung nach die Entwicklung am ehesten Richtung Harmonisierung und Spaltung der Kirchen.
Bericht: Antoinette Lüchinger
Zu diesem spannenden Thema referierte und reflektierte Pfarrer Tobias Brandner, der seit 20 Jahren in Hongkong als Dozent und Professor der dortigen staatlichen Universität lebt und als Gefängnisseelsorger.