Montag, 28. Mai 2018
Anna Reinharts Trauma
Rapperswil Im Oratorium «Akte Zwingli» steht nicht der
Reformator selbst, sondern seine Ehefrau Anna Reinhart im
Mittelpunkt. Das Werk ist voller origineller Ideen und schöner, ergreifender Musik.
Im Zuge des Reformationsjahres wurde am Samstag das Oratorium «Akte Zwingli» in der evangelischen Kirche Rapperswil aufgeführt. Das Oratorium ist eine dramatische, mehrteilige Vertonung einer meist geistlichen Handlung, verteilt auf mehrere Personen unter Mitwirkung von Chor und Orchester. Gleich vorweg: Das Leben Zwinglis in irgendeiner anderen Form – zum Beispiel als Theater, Musical, in einem Gedicht oder als Roman – zu fassen, wäre wohl um einiges weniger anspruchsvoll gewesen, als den Weg eines Oratoriums zu wählen. Doch genau das ist den beiden Machern Hans-Jürgen Hufeisen (Musik) und Christoph Sigrist (Libretto) auf beeindruckende Weise erfolgreich gelungen.
Das Tagebuch erzählen lassen
Die «Akte Zwingli» vermag in mehrfacher Hinsicht zu überzeugen: Als Erstes gefällt die gewählte Form: Anstatt das Leben Zwinglis chronologisch abzuhandeln, lässt Sigrist Zwinglis Ehefrau Anna Reinhart in fiktiven Tagebucheinträgen über das Leben ihres Mannes nachdenken. Weiter baute Sigrist Zwinglis eigene Lieder und Gedichte des Reformators passend ins Oratorium ein. Ebenfalls überzeugt hat die mutige, da ungewöhnliche Orchesterzusammenstellung: Die Kantorei Rapperswil-Jona unter der Leitung von Davide De Zotti wurde von einer Blockflöte, einem Akkordeon, zwei Flügeln und einem Schlagzeug begleitet.
Die «Akte Zwingli» will nicht die Heldengeschichte eines Reformators aus dem Toggenburg, der Karriere in Zürich gemacht hat, erzählen. Stattdessen tastet sie sich viel subtiler an die frühneuzeitlichen Geschehen heran und stellt Anna Reinhart in den Mittelpunkt. Aus diesem Grund kann das Oratorium gar nicht anders, als mit dem eigentlichen Schluss zu beginnen: dem Tod des Reformators, einem Trauma für Anna Reinhart.
Von der Streitlust
Im ersten Teil – übertitelt mit «Krieg» – singt die Mezzosopranistin Sarah Widmer in herzergreifenden Lamenti und mit warmer Stimme von der inneren Verletzlichkeit der Anna Reinhart. Zwingli selbst, gesungen von Daniel Camille Bentz, Mitglied des Tenorensembles «I Quattro», tritt im zweiten Teil «Charisma» auf und singt zusammen mit dem Chor die wohlklingende Vertonung des Psalms 23. Zwischen den einzelnen Klangbildern liest der Erzähler aus dem fiktiven Tagebuch vor und leitet zum nächsten Klangbild oder zum nächsten Teil über. Zum Beispiel zum dritten, dem «Streit». Hier geht es um die Streitlust zwischen Zwingli und Luther: Mit einer Collage aus altgriechischen, lateinischen und deutschen Textfragmenten wurden die Uneinigkeiten um die «richtige» Übersetzung von Bibelversen klanglich eindrucksvoll dargestellt.
Als die Pest in Europa grassierte, wurden Angesteckte angehalten, mittels Ratschen oder Schellen andere vor sich zu warnen. Ein gern vergessenes Detail der Geschichte, das im vierten Teil «Pest» eindrücklich aufgegriffen wurde. Weniger überzeugt hat hingegen der penetrant wiederholte Einsatz der überblasenen Blockflöte. Hier hätte der Stimmung etwas mehr Drama statt Geschrei gutgetan. Zum Schluss im «Nachklang» lag der Fokus wieder ganz bei der Zweiflerin Anna Reinhart. Anlässlich der Hinrichtung von Täufern in Zürich fragten ihre Kinder sie, wo denn nur der Vater sei und warum er diesem Treiben keinen Einhalt gebiete, und sie sich selbst: «Gibt es Gott?»
Die mehr als 50 Mitwirkenden, die am Samstag in Rapperswil auf der Bühne standen, haben Grossartiges geleistet. Dirigent De Zotti meisterte die anspruchsvolle Aufgabe, den vollklingenden, präzisen und jederzeit präsenten Chor sowie die Musiker, Erzähler und Solisten in ein eindrückliches Gesamtpaket zu packen, mit Bravour. Einziges Fragezeichen hinterliess die Besetzung des Erzählers und der Blockflöte. Der Komponist Hufeisen und der Autor Sigrist besetzten diese Positionen nämlich gleich selbst. Das führte teilweise zu etwas Übereifer in der Interpretation und hatte auch etwas leicht Klammerhaftes. Die «Akte Zwingli» ist ein starkes, überzeugendes Werk, das man getrost in fremde Hände geben darf.
Für die Zürichsee-Zeitung Obersee: Michel Bossart
Montag, 28. Mai 2018, 04:30 Uhr
Zwingli aus der Perspektive seiner Frau
Im Oratorium «Akte Zwingli» steht nicht etwa der Reformator selbst, sondern seine Ehefrau Anna Reinhart im Mittelpunkt. Dirigent Davide De Zotti hat es in Rapperswil verstanden, die über 50 Mitwirkenden auf der Bühne in ein eindrucksvolles, fünfteiliges Ganzes zu bringen.
Im Zuge des Reformationsjahres wurde am Samstag das Oratorium «Akte Zwingli» in der evangelischen Kirche Rapperswil aufgeführt. Das Oratorium ist eine dramatische, mehrteilige Vertonung einer meist geistlichen Handlung, verteilt auf mehrere Personen unter Mitwirkung von Chor und Orchester. Gleich vorweg: das Leben Zwinglis in irgendeiner anderen Form – zum Beispiel als Theater, Musical, in einem Gedicht oder als Roman – zu fassen, wäre wohl um einiges weniger anspruchsvoll gewesen, als den Weg eines Oratoriums zu wählen. Doch genau das ist den beiden Machern Hans-Jürgen Hufeisen (Musik) und Christoph Sigrist (Libretto) auf mehr als beeindruckende Weise gelungen.
Die «Akte Zwingli» ist voll von guten Einfällen: Als erstes ist es die Form überhaupt. Anstatt das Leben Zwinglis zum Beispiel chronologisch abzuhandeln, lässt Sigrist Zwinglis Ehefrau Anna Reinhart in fiktiven Tagebucheinträgen über das Leben ihres Mannes nachdenken.
Zum Zweiten baute Sigrist eigene Lieder und Gedichte des Reformators sehr passend ins Oratorium ein. Ebenfalls überzeugt hat die mutige, da ungewöhnliche Orchesterzusammenstellung: Die Kantorei Rapperswil- Jona unter der Leitung von Davide De Zotti wurde von einer Blockflöte, einem Akkordeon, zwei Flügeln und einem Schlagzeug begleitet.
Keine Heldengeschichte
Da die «Akte Zwingli» nicht die Heldengeschichte eines Reformators aus dem Toggenburg, der Karriere in Zürich gemacht hat, erzählen will, sondern sich viel subtiler an die frühneuzeitlichen Geschehen herantastet und Anna Reinhart in den Mittelpunkt stellt, kann das Oratorium gar nicht anders, als mit dem eigentlichen Schluss zu beginnen: dem Tod des Reformators. Ein Trauma für Anna Reinhart. Im ersten Teil – übertitelt mit «Krieg» – singt die Mezzosopranistin Sarah Widmer in herzergreifenden Lamenti und mit warmer Stimme von der inneren Verletzlichkeit der Anna Reinhart. Zwingli selbst, gesungen von Daniel Camille Bentz, Mitglied des Tenor-Ensembles «I Quattro», tritt im zweiten Teil, «Charisma», auf und singt zusammen mit dem Chor die wohlklingende Vertonung des Psalms 23.
Zwischen den einzelnen Klangbildern liest der Erzähler aus dem fiktiven Tagebuch vor und leitet zum nächsten Klangbild oder zum nächsten Teil über. Zum Beispiel zum dritten, der «Streit» hiess. Hier ging es um die Streitlust zwischen Zwingli und Luther: Mit einer Collage aus altgriechischen, lateinischen und deutschen Textfragmenten wurde die Uneinigkeit um die «richtige» Übersetzung von Bibelversen klanglich sehr eindrucksvoll dargestellt.
Als die Pest in Europa grassierte, wurden Angesteckte angehalten, mittels Ratschen oder Schellen andere vor sich zu warnen. Ein gern vergessenes Detail der Geschichte, das im vierten Teil, «Pest», eindrücklich aufgegriffen wurde. Weniger überzeugt hat hingegen der penetrant wiederholte Einsatz der überblasenen Blockflöte, hier hätte der Stimmung etwas mehr Drama statt Geschrei gutgetan.
Zum Schluss, im «Nachklang», lag der Fokus wieder ganz bei der Zweiflerin Anna Reinhart. Anlässlich der Hinrichtung von Täufern in Zürich fragten ihre Kinder sie, wo denn nur der Vater sei und warum er diesem Treiben keinen Einhalt gebiete. Und sie selbst fragte sich: «Gibt es Gott?»
Nur ein Fragezeichen bleibt
Die über über 50 Mitwirkenden, die am Samstag auf der Bühne standen, leisteten Grossartiges. Dirigent De Zotti meisterte die anspruchsvolle Aufgabe, den vollklingenden, präzisen und jederzeit präsenten Chor sowie die Musiker, Erzähler und Solisten in ein eindrückliches Gesamtpaket zu packen, mit Bravour.
Einziges Fragezeichen hinterliess die Besetzung des Erzählers und der Blockflöte. Der Komponist Hufeisen und der Autor Sigrist besetzten diese Positionen nämlich gleich selbst. Das führte teilweise zu etwas Übereifer in der Interpretation und hatte auch etwas leicht Klammerhaftes. Die «Akte Zwingli» ist ein wirklich starkes, überzeugendes Werk, das man getrost in fremde Hände geben darf.
Die «Akte Zwingli» ist voll von guten Einfällen: von der Form selber bis zur Zusammenstellung des Orchesters.
Für die Südostschweiz: Michel Bosshart
Samstag, 26. Mai 2018, 04:30 Uhr
Am Anfang steht Zwinglis Tod
Die Kantorei Rapperswil-Jona führt zur Feier des Reformationsjahres das Oratorium «Akte Zwingli» auf.
Der Startschuss zum Projekt fiel im letzten Oktober, anlässlich einer Singwoche. Und seither wurde, mit kurzen Unterbrüchen, intensiv dafür geprobt.
Aus Zwinglis Leben
Die Initialzündung zu diesem Zwingli-Werk liegt über fünf Jahre zurück, als sich der Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist und der Komponist Hans-Jürgen Hufeisen zum ersten Mal darüber austauschten. Aus der Idee entstand ein Oratorium der besonderen Art. Das Libretto, das Sigrist verfasst hat, basiert auf Textausschnitten aus seinem Roman «Anna Reinhart und Ulrich Zwingli». Für dessen musikalische Umsetzung hat Hufeisen eigene Motive, volksliedhafte Melodien und Choräle zu einem Ganzen verknüpft.
Das Oratorium zeichnet Geschehnisse aus Zwinglis Leben nach, die – aus der Perspektive seiner Frau Anna Reinhart – in einer einfachen Sprache erzählt werden. Am Anfang steht Zwinglis Tod, und dann hält Anna Reinhart in ihrem fiktiven Tagebuch eine Art Zwiesprache mit ihrem geliebten Mann. So malt sie das Bild eines kreativen, von Zweifeln geplagten, empfindsamen Menschen, der so gar nicht dem lustfeindlichen und streitbaren Reformator, auf den Zwingli meist reduziert wird, entspricht.
Sehr grosse Präsenz gefordert
Hufeisen hat diese Geschichte sehr vielschichtig in Musik umgesetzt. «Die musikalische Gestaltung des gesprochenen Wortes», so Dirigent De Zotti, «hat zu einem faszinierenden Spannungsfeld geführt.» Der Sprecher (Christoph Sigrist), die Mezzosopranistin Sarah Widmer als Anna Reinhart, der Tenor Daniel Camille Bentz als Zwingli, der Chor und das Vokalensemble Sangis wechseln sich ständig ab, zuweilen überlappen sich ihre Einsätze. «Deshalb ist von allen eine sehr grosse Präsenz gefordert», fügt De Zotti an.
Als Höhepunkte nennt De Zotti die Vertonung von Psalm 23 («Der Herr hirtet mich») und das eindrückliche Pest-Lied, dessen Text und Melodie auf Zwingli zurückgehen. Aber auch das zweichörige Streit-Lied, in welchem die Kantorei und das Vokalensemble als Zwingli- beziehungsweise Lutherchor gegeneinander ansingen, und das letzte Stück, «Unser Herz brennt für dich», berühren.
De Zotti umreisst Hufeisens Kompositionsweise folgendermassen: «Ein harmonisch schwebendes Leitmotiv wird erweitert durch melodische und rhythmische Elemente.» Mit anderen Worten, eine bestimmte Tonfolge kommt in abgewandelter Form immer wieder vor, eingebettet in unterschiedliche Rhythmen und in eingängliche, volksliedhafte Melodien. Gerade diese Einflüsse aus der Volksmusik – und die einfache Sprache, in der das Oratorium verfasst ist – mögen dazu führen, dass es auf Anhieb Gefallen findet und verstanden wird.
Ob es das Reformationsjahr überdauert, muss sich allerdings noch weisen. Dazu machten sich der Dirigent und die gut 40 Sängerinnen und Sänger der Kantorei und des Vokalensembles in den letzten Wochen jedoch keine Gedanken. Sie waren genug gefordert, dem Werk seinen letzten Schliff zu verpassen. Zumal Hufeisen, der selber die Flöte spielt, und die anderen Musiker gestern, am Vortag des Konzerts, erstmals mitproben konnten. «Wir sind ja flexibel, nicht wahr?», meint De Zotti schmunzelnd.
Für die Südostschweiz: Johanna Krapf
Zeitungsberichte der Südostschweiz und der Zürichsee-Zeitung Obersee